Politikwissenschaftlerin: 50 Jahre nach „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome dominiert in der Umweltbewegung mehrheitlich das Prinzip Hoffnung – Auch Gruppen wie „Letzte Generation“ mit Blockadeprotesten idealistisch geprägt – Religiöse Umweltakteure zu fundamentalen Änderungen bereit – „Religion ist aber nicht nur grün“ – Podcastfolge 10
Prinzip Hoffnung: Trotz fast aussichtsloser Umweltsituation speist sich das Engagement der europäischen Umweltbewegung selbst 50 Jahre nach dem Club-of-Rome-Papier „Grenzen des Wachstums“ laut Forscherinnen zumeist aus Idealismus. „Auch Gruppen wie die ‚Letzte Generation‘ mit ihren Blockaden sind idealistisch geprägt, auch wenn sie auf apokalyptische Szenarien verweisen“, sagt die Politikwissenschaftlerin Prof. Doris Fuchs vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU und Sprecherin des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN). „Schon die Club-of-Rome-Schrift basierte auf der Hoffnung, dass sich Politik und Bevölkerung zu mehr Nachhaltigkeit bewegen lassen. Selbst nach Jahrzehnten fast vergeblicher Appelle tragen idealistische Motive die Bewegung. Dabei sind neue und drastischere Protestformen zu erwarten, das Gros der Bewegung wird jedoch keine Radikalisierung im Sinne eines ‚Öko-Terrorismus tragen‘“, so Fuchs, die zu weltanschaulichen Grundlagen insbesondere von religiös motivierten Umweltakteuren forscht. Diese gewönnen an Einfluss in der Umweltpolitik auf UN- und EU-Ebene. Religiöse und nichtreligiöse Akteure hätten dabei keine weltanschaulichen Konflikte: Bei beiden speise sich das Engagement oft sowohl aus wissenschaftlicher Information als auch Naturverbundenheit.
„Religiös motivierte Akteure leisten einen spezifischen Beitrag: Viele sind aufgrund ihrer tief verwurzelten Werte zu einem fundamentalen Umdenken bereit“, führt Doris Fuchs aus. Die Idee der immateriellen Basis eines erfüllten Lebens gehört zu ihren Kernbotschaften. Damit erinnern sie auch an die genügsamere Lebensweise der Großeltern- und Urgroßelterngeneration und können Ansätze von Gruppen wie ‚Fridays for Future‘ und ‚Extinction Rebellion‘ bereichern.“ Die Verantwortung für Gottes Schöpfung lebe vom Glauben und Handeln. „Der Rückgriff auf alte religiöse Denktraditionen begründet innovative Forderungen eines nachhaltigen Lebensstils“, so die Forscherin. „Religion heißt aber nicht automatisch Umweltbewusstsein, wie das Beispiel evangelikaler Klimaleugner zeigt.“ Fuchs äußerte sich im Themenjahr „Tradition(en)“ des Exzellenzclusters, das die Entstehung und Neuinterpretation von Traditionen beleuchtet. Im Podcast spricht sie über ihre Forschung sowie Wirtschaftswachstum als Ideologie.
Religionsvertreter sprechen oft mit einer Stimme und mobilisieren breit für Transformation
Ein zentrales Motiv religiöser Akteure aus Christentum oder Islam ist laut Doris Fuchs insbesondere die Nächstenliebe, die als Auftrag zur Gerechtigkeit gegenüber künftigen Generationen und dem globalen Süden verstanden wird. „Die päpstliche Enzyklika ‚Laudato si’‘ über die Erschöpfung natürlicher Ressourcen sowie die ‚Islamische Erklärung zum globalen Klimawandel‘, beide erschienen vor dem Pariser Klimagipfel 2015, trugen zu einer erkennbar stärkeren Mobilisierung in Gemeinden und auf politischer Ebene bei“, führt die Forscherin aus.
Namentlich im Islam habe das Engagement zugenommen: „Viele vom Klimawandel unmittelbar betroffene Menschen leben in islamisch geprägten Regionen wie Nordafrika oder dem Mittleren Osten. In Deutschland sind muslimische Umweltschutzvereine wie HIMA entstanden, das Abrahamische Forum organisiert religiöse Naturschutztage.“ Im umweltpolitischen Diskurs der Europäischen Union (EU) und den Klima- und Nachhaltigkeitsgipfeln der Vereinten Nationen gewönnen neben den christlichen nun verstärkt auch andere Religionsvertreter an Einfluss. „Sie vertreten gemeinsame Werte: Hinduisten, Katholiken wie Muslime sehen Gott in der Natur, die Natur gilt als Gotteswerk.“ Damit sei Religion in der Umweltpolitik ein einigender Faktor, der aber auch Akteure ohne religiöse Rückbindung adressiere.
„Religionsvertreter können über eine glaubensbezogene Ansprache auch Menschen erreichen, die sich sonst von Umweltaktivisten, gerade von radikalen Protestformen, eher nicht angesprochen fühlen“, sagt Doris Fuchs: „Mit ihrer hoffnungsvollen Haltung erreichen sie viele Gläubige weltweit.“ Dabei können religiöse Akteure ein Fundament für breites und langfristiges Engagement legen. „Eine gesellschaftliche Transformation braucht tief verwurzelte Werte, die zu einer grundlegenden Änderung des persönlichen Lebensstils und gesellschaftlicher Werte motivieren“, betont die Forscherin. „Hierzu leisten Religionen einen spezifischen Beitrag.“
„Religion ist nicht nur grün“
Der Zuwachs von religiösen Impulsen in der Umweltpolitik dürfe aber nicht über gegenteilige Haltungen hinwegtäuschen: „So wie viele Klimaleugner aus dem evangelikalen Spektrum stammen, ist etwa in Lateinamerika das Konzept des Wohlstandsevangeliums stark vertreten. Wachstum und Wohlstand gelten hier als Zeichen Gottes Gnade, nicht als Umweltgefahr“, erläutert Doris Fuchs. „Religiöse Positionen zur Nachhaltigkeit speisen sich aus unterschiedlichen Traditionslinien: Die religiöse Traditionslinie der Bewahrung der Schöpfung steht für Nachhaltigkeit, ebenso die Verantwortung für (auch zukünftige) Nächste, während der Ansatz, der Mensch möge sich die Erde untertan machen, weiteren Ressourcenverbrauch rechtfertigen will.“
Doris Fuchs leitet am Exzellenzcluster das Projekt „Religion als Ressource in der europäischen und internationalen Klimapolitik“ und hat jüngst zusammen mit der Politikwissenschaftlerin Hannah Klinkenborg eine Studie zu glaubensbasierten Beiträgen in der EU-Klimapolitik veröffentlicht. Sie plädiert für eine Ausweitung der umweltpolitischen Dialoge mit Religionsvertretern innerhalb der EU und der Vereinten Nationen sowie stärkere mediale Präsenz. „Vor 50 Jahren sprachen wir von den Grenzen des Wachstums, inzwischen von der Postwachstumsgesellschaft. Ein gebündeltes Engagement der Religionen kann dazu beitragen, eine breite Bevölkerung für die mit der EU-Klimapolitik und dem Green Deal angestrebte Klimaneutralität bis 2050 zu aktivieren.“ (apo/vvm)