Wie Experten der Uni Münster das neue Kirchenoberhaupt einschätzen
Überraschend schnell einigten sich die Kardinäle darauf, wer neuer Papst wird. Am Mittwoch erst hatte das Konklave begonnen, am Donnerstagabend stieg schon weißer Rauch auf: Kardinal Robert Francis Prevost aus den USA ist das neue Oberhaupt der katholischen Kirche. Leo XIV., so sein Papstname, wandte sich am Donnerstagabend erstmals an die Gläubigen. Der 69-Jährige sprach eine Friedensbitte und rief dazu auf, durch Dialog „Brücken zu bauen“.
Prof. Dr. Hubert Wolf, Prof. Dr. Regina Elsner, Prof. Dr. Thomas Schüller und Prof. Dr. Christian Bauer von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster äußern sich zu der Wahl und zu möglichen Themen des neuen Papstes:

Copyright: Catrin Moritz
Prof. Dr. Hubert Wolf (Seminar für mittlere und neuere Kirchengeschichte):
„Die Wahl von Robert Francis Prevost stellt eine Überraschung dar. Er ist ein Weltbürger: ein US-Amerikaner mit europäischen Wurzeln und südamerikanischer Prägung, polyglott und erfahren in der Leitung des internationalen Ordens der Augustiner. Er gilt als Mann der Mitte, diplomatisch versiert, pragmatisch, nicht ideologisch ausgerichtet. Äußerlich vollzog er einen klaren Bruch mit der Bescheidenheit des Franziskus, der ganz in schlichtem Weiß aufgetreten war, und kam wie Benedikt XVI. mit rotem Schulterumhang und Stola. Er machte allerdings in seiner ersten Ansprache eine Kontinuität zu Franziskus’ Zuwendung zu allen Menschen deutlich. Begriffe wie Dialog, Synodalität und Barmherzigkeit spielten eine zentrale Rolle.
Leo XIV. will auf jeden Fall ein politischer Papst sein, wie der Friedensgruß am Anfang seiner relativ langen Rede und die mehrfache Betonung der Friedensbotschaft Jesu Christi verdeutlicht. Der 8. Mai 2025 als Tag seiner Wahl ist für den neuen Papst ein Auftrag, seine ganze Autorität für den Frieden einzusetzen. Die Wahl seines Papstnamens enthält eine weitere Botschaft: Leo XIII. (1878-1903) gilt als der Papst, der sich erstmals der Arbeiterfrage und den sozialen Problemen im Kontext der Industrialisierung angenommen hat. In seiner berühmten Sozialenzyklika ,Rerum Novarum‘ von 1891 wandte er sich gegen Liberalismus und Marxismus und schlug als dritten Weg eine Balance der Sozialprinzipien von Personalität und Solidarität vor, die auf dem christlichen Menschenbild basieren und heute etwa die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft bilden. Leo XIV. will demnach auch ein sozialer Papst und Brückenbauer sein.“

Copyright: Uni MS – Kalle Kröger
Prof. Dr. Regina Elsner (Ökumenisches Institut):
„Papst Leo XIV. hat sein Pontifikat mit einer starken Friedensbotschaft begonnen, die in der aktuellen globalen kriegerischen Eskalation ein Hoffnungszeichen ist. Gleichzeitig ist sie für einen Papst wenig überraschend, und gerade die diplomatischen Bemühungen des Vatikans im russischen Krieg gegen die Ukraine haben gezeigt, wie vieldeutig und manipulierbar dieser Ruf nach Frieden sein kann. Es wird sich also an dem konkreten theologischen und diplomatischen Umgang des neuen Papstes mit den Kriegen unserer Tage zeigen, welche Ethik diese Friedensbotschaft füllt.
Mit seinem Namen stellt er sich in die Nachfolge von Leo XIII., der die katholische Soziallehre angestoßen hat. Er weckt damit die Erwartung, dass für dieses Pontifikat die brennenden Fragen unserer Gesellschaften – ihre Polarisierung, Ungerechtigkeit und Gewalthaftigkeit – zentrale Themen werden. Der Wahlspruch des Pontifikats ,In diesem einen (Christus) sind wir vielen eins‘ unterstreicht den Wert der Vielfalt und ist damit sozialethisch, aber auch ökumenisch vielversprechend. Leo XIV. hat bisher weder in der Ökumene mit den Kirchen der Reformation noch in den Beziehungen mit den orthodoxen und altorientalischen Kirchen eine aktive Rolle gespielt. Gerade die Orientierung an dem gemeinsamen Ursprung der verschiedenen Kirchen kann eine Chance bieten, um institutionelle Abgrenzungen und identitäre Verhärtungen zu überwinden.“

Copyright: privat
Prof. Dr. Thomas Schüller (Institut für kanonisches Recht):
„Mit der Wahl von Papst Leo XIV. ist den Kardinälen ein Coup gelungen. Der neue Papst verbindet aufgrund seiner Herkunft und Berufsbiographie Kontinente, Kulturen, Sprachen und die verfeindeten katholischen Lager in der katholischen Kirche. In sozialethischen Themen folgt er seinem Vorgänger und kritisiert eine kapitalistische Wirtschaft, die tötet und die Natur ausbeutet. In binnentheologischen Konfliktthemen wie Frauen, Gender und queere Menschen vertritt er strukturkonservative Positionen. So war er für beide Lager wählbar, auch für die römische Kurie, in der als verantwortlicher Personalchef für die Bischöfe Verantwortung trug.
Als Kirchenrechtler wird er das synodale Projekt seines Vorgängers in verbindliche Strukturen überführen und als erfahrener Diplomat den Tyrannen der Welt wie Trump und Putin die Stirn bieten. Offen ist, ob er das vollmundige Programm seines Vorgängers von einer heilsamen Dezentralisierung der Kirche weg von einem römischen Einheitskatholizismus fortführt und vor allem konkrete rechtliche Schritte einleitet, um den Kirchen vor Ort mehr kultursensible Eigenständigkeit zu geben.
Zu hoffen ist, dass die vatikanische Diplomatie, die unter den sprunghaften Äußerungen von Papst Franziskus zu den Konflikten in der Ukraine und im Gaza Schaden genommen hat, unter dem neuen Papst wieder in verlässliche Fahrwasser gebracht werden wird. Schließlich: Nach einem Jesuiten folgt der nächste Ordensmann als Papst. Augenscheinlich sind in der verfassten Kirche keine Kardinäle mehr, die die geistliche und intellektuelle Kraft hätten, das anspruchsvollste religiöse Amt, das die Welt kennt, erfolgreich ausüben zu können.“

Copyright: Christina Gaio
Prof. Dr. Christian Bauer (Institut für Religionspädagogik und Pastoraltheologie):
„Die Wahl von Papst Leo XIV. ist eine handfeste Überraschung. Als Kandidat immer wieder genannt, war er gleichwohl kein Frontrunner der Buchmacher. Und doch erscheint seine Wahl als naheliegend, im Nachhinein fast schon logisch. Robert F. Prevost ist ein polyglotter Augustiner aus Chicago, der die meiste Zeit seines Lebens in Peru verbrachte und als Präfekt der Bischofskongregation Kurienerfahrung mitbringt. Menschen, die ihn aus seiner Zeit in Lateinamerika kennen, sprechen sehr positiv von ihm. Sie loben nicht nur seine Leitungskompetenz, sondern auch seine menschlichen Qualitäten als guter Zuhörer und Brückenbauer.
Auch die ersten medialen Überschriften stimmen zuversichtlich – und zwar nicht nur in weltpolitischer, sondern auch in innerkirchlicher Hinsicht: sanfter Löwe, Mann der Mitte, pragmatischer Reformer. Zum ,synodalen Weg‘ in Deutschland suchte er stets ein konstruktives, nicht konfrontatives Verhältnis. Der erste öffentliche Auftritt des neuen Papstes war in sympathischer Weise gewinnend. Weltgewandt und hochpolitisch. Zugleich jesusnah und mit Signalen an alle innerkirchlichen Lager. Rückkehr der Mozetta, aber kein Bruch mit Papst Franziskus. Das signalisiert bereits der Name: Bruder Leo war der treueste Gefährte des Heiligen Franziskus. Augustinus zitiert er synodal: mit Euch Christ, für euch Bischof.
Aber auch in politischer Hinsicht ist diese Namenswahl (Leo = der Löwe) ein deutliches Signal: Nicht nur, weil sie an Papst Leo XIII., den Begründer der katholischen Soziallehre erinnert, sondern auch an Papst Leo den Großen, der den Hunnen furchtlos entgegentrat und Rom rettete. Schon die ersten Worte des neuen Papstes waren eine klare Ansage an Politiker wie Donald Trump und Wladimir Putin. ,Friede sei mit euch allen‘ – diese Worte skizzieren bereits ein erstes Programm: Dialog suchen, Brücken bauen, Frieden stiften, Schwache stärken, synodal vorangehen. In der Spur von Papst Franziskus, aber zugleich auch weniger aneckend. Das ist nicht gerade wenig angesichts der gegenwärtigen Polarisierungen von Kirche und Welt.“