Forscher des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) untersuchen, wie Entrepreneure mit Künstlicher Intelligenz (KI) zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme beitragen. In einer neuen Studie verweisen sie auf die organisatorische Einzigartigkeit von Start-ups, durch die sie als Brücke zwischen unterschiedlichen Interessengemeinschaften in Bereichen wie Inklusion, Gesundheitswesen oder Klimaschutz agieren. Zudem zeigen sie die Vorteile von sozialem Unternehmertum, aber auch potentielle Risiken.
Können Start-ups mit KI einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft nehmen? Diese Frage erforscht die Forschungsgruppe “Innovation, Entrepreneurship & Gesellschaft” um Dr. Ali Aslan Gümüsay am HIIG. In einer neuen Fallstudie untersucht er mit seinen Kollegen Prof. Dr. Nicole Siebold und Dr. Georg von Richthofen 15 europäische Unternehmen aus verschiedenen Branchen, von Bildung über Banken bis hin zu Umweltdienstleistungen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Start-ups neue KI-Technologien aufgrund ihrer strukturellen Flexibilität sehr schnell an die einzelnen Bedürfnisse verschiedener Stakeholder anpassen können.
“Sozial orientierte KI-Unternehmen haben unter anderem in der Arbeitswelt den einmaligen Vorteil, dass sie gleichzeitig mit gewinnorientierten und gemeinnützigen Organisationen zusammenarbeiten können”, erklärt Dr. Siebold. Sie verweist auf ein unternehmerisches Projekt im Vereinigten Königreich, das intelligente Bilderkennung zur Identifizierung, Kategorisierung und Kartierung entwickelt, um die Plastikverschmutzung in den Ozeanen zu verringern. “Umweltverschmutzung durch Plastikmüll betrifft jeden in unserer Gesellschaft, weshalb die Entrepreneure viele unterschiedliche Stakeholder ansprechen und mit deren Know-how und finanzieller Unterstützung eine KI-basierte Technologie sektorenübergreifend entwickeln konnten“, erläutert sie weiter. In anderen Fallbeispielen nahmen die untersuchten Start-ups ebenfalls eine solche Brückenfunktion zwischen unterschiedlichen Interessengruppen ein. Neben NGOs, Regierungsbehörden und Firmenkundschaft waren das auch konkurrierende Unternehmen, die teilweise als mitverantwortlich für die zu lösenden gesellschaftlichen Probleme angesehen werden.
Die neue Studie über soziales Unternehmertum weist auch auf die Risiken hin, die mit der Entwicklung Künstlicher Intelligenz verbunden sind. Das zeigt sich bei einem Start-up, welches KI zur Bewertung der Fähigkeiten von Geflüchteten einsetzt, um diese bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. „Der Unternehmensgründer stellte fest, dass die für das Training von KI-Modellen verfügbaren Arbeitsmarktdaten oft systematisch verzerrt sind, was Alter, ethnische Zugehörigkeit und Religion angeht. Deshalb muss die generelle Verwendung solcher Datensätze immer hinterfragt werden“, sagt Dr. Siebold. Andernfalls besteht die Gefahr, dass neue KI-Modelle Probleme wie Ungleichheit und Ausgrenzung weiter verschärfen, anstatt sie zu bekämpfen, so die Forscherin.
“Aber auch auf politischer Ebene und für Entscheidungsträger*innen gibt es noch viel Handlungsbedarf”, thematisiert HIIG-Forschungsdirektor Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer. Neben stärkerer Regulierung neuerer Technologien fehlt es den Entrepreneur*innen im sozialen Sektor oft grundsätzlich an den nötigen Mitteln, um das bestqualifizierte Personal an sich binden zu können. Dr. Gümüsay ergänzt, dass insbesondere das soziale Unternehmertum gezielt politische Unterstützung braucht. “Nur so kann es Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel und digitale Transformation entwickeln. Hier bedarf es vielfältiger Förderungen von Finanzierungsanreizen bis hin zu einer Stärkung des sozialunternehmerischen Ökosystems”, schließt er.