Warum sind Megakirchen in den USA so erfolgreich
Megakirchen bekommen in den USA immer mehr Zulauf. Warum? Soziologe Prof. Dr. Thomas Kern von der Universität Bamberg nennt in seiner Studie drei Gründe für deren Erfolg: weniger Bindung an kirchliche Traditionen, religiöse Selbstverwirklichung und geringe Zugangsbarrieren für Neumitglieder. Die teilweise stark wachsenden Gemeinden passen ihr Angebot der Nachfrage an. Aufbauend auf diesen bisherigen Erkenntnissen geht Kern ab Oktober 2019 der Frage nach „Wie entstehen religiöse Märkte?“.
Bis zu 40.000 US-Amerikaner strömen an einem Wochenende in die größte Gemeinde der USA, die Lakewood Church in Houston, deren Gebäude so groß wie mittlere deutsche Fußballstadien sind. In den USA gibt es mittlerweile schätzungsweise 1.700 Megakirchen. Dabei handelt es sich um evangelikal ausgerichtete Gemeinden mit mehr als 2.000 sonntäglichen Besucherinnen. Einige gibt es auch in Europa, etwa in Großbritannien und den Niederlanden. Ihren Erfolg hat der Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere soziologische Theorie, der Universität Bamberg wissenschaftlich untersucht. Für ihre Fallstudie interviewten der Lehrstuhlinhaber Thomas Kern und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Insa Pruisken in den Jahren 2013 und 2014 über 70 Mitarbeitende von vier Kirchengemeinden in Texas. Außerdem befragten sie Kirchenmitglieder online und werteten unter anderem Gemeinde-Leitlinien aus. Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Neue Bedürfnisse, neue Angebote
Ihre erste Erkenntnis: Vor allem junge Menschen fühlen sich oft nur noch locker mit den ethnischen Herkunftsgruppen und religiösen Traditionen verbunden, in denen sie aufgewachsen sind. „Wer sich nicht mehr so stark mit dem religiösen Hintergrund der eigenen Familie identifiziert, aber dennoch christlich bleiben möchte, kann mitunter durch die religiöse ‚Popkultur‘ in der Kirche gehalten werden“, erklärt Kern.
Zweitens rücken religiöse Selbstverwirklichung und spirituelle Erfahrungen in den Vordergrund, traditionelle Rituale und liturgische Elemente in den Hintergrund. „Um das subjektive Wohlbefinden der Besucher zu steigern, setzen Megakirchen auf populäre Musik, unterhaltsame und alltagsrelevante Predigten und Kindergottesdienste mit vielseitigen Programmen“, führt Pruisken aus. Für jedes Familienmitglied gäbe es altersgerecht zugeschnittene Angebote, angefangen bei Kleinkindern.
Drittens sinken die Zugangsbarrieren für neue Mitglieder. Religiöse Inhalte wie Predigten werden digitalisiert und über soziale Medien verbreitet. „Die kulturelle Grenzziehung zwischen der religiösen und der säkularen Welt wird auf diese Weise tendenziell abgebaut“, sagt Pruisken.
Kern sieht darin eine neue gesellschaftliche Entwicklung, die sich auf den Protestantismus in den USA insgesamt auswirkt: „Es scheint sich eine neue institutionelle Logik durchzusetzen, die den Regeln eines Marktes folgt.“ Lokale Gemeinden würden sich zu religiösen Wettbewerbern mit eigenen Identitäten und Zielen entwickeln. Sie nähmen die Gläubigen häufiger als religiöses „Publikum“ wahr, an dessen Ansprüche sie ihr Leistungsangebot anpassen müssten.
Wie entstehen religiöse Märkte?
Warum sich in den USA eine Marktlogik im Protestantismus entwickelt hat und wie sich die Beteiligung der Gemeindemitglieder verändert, untersuchen Kern und Pruisken in einem neuen Forschungsprojekt ab Oktober 2019. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt bis 2022 mit etwa 400.000 Euro. Die Forschenden vergleichen darin die religiöse Marktbildung zweier amerikanischer Metropolregionen: Houston und Minneapolis-St. Paul.